Jeannine Budelmann
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Weg von der Titelhörigkeit!
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Weg von der Titelhörigkeit!

Erschienen in Markt und Mittelstand 06/2020.

Fünf Jahre hat sich mein Bekannter abgerackert, seine freien Abende, Wochenenden und Urlaube geopfert. Alles nur für ein Ziel – um eine Urkunde in der Hand zu halten: Doktor der Wirtschaftswissenschaften! Drei Monate später aber warf er seine neu gedruckten Visitenkarten mit dem „Dr.“ vorm Namen schon wieder weg. Was war passiert? Der bis dato überaus erfolgreiche Einkäufer erhielt plötzlich schlechtere Preise. Scheinbar suggeriert ein solcher Titel in manchen Bereichen, man könne den weltfremden Akademiker aus dem Elfenbeinturm über den Tisch ziehen. Ein akademischer Grad ist also nicht immer nützlich –  und oft auch nicht mehr notwendig: Sogar Chefarzt kann man heute ohne Promotion werden.

Gleichzeitig wächst eine Generation neuer Fachkräfte heran, die gut ausgebildet sind und eine entsprechende Bezahlung erwarten. Aber sie suchen auch Arbeit, die sinnstiftend ist und eine ausgewogene Work-Life-Balance bietet. In Zeiten des Fachkräftemangels bedeutet das: Unternehmen müssen flachere Hierarchien schaffen und mehr individuelle Verantwortung übergeben. Kaminkarrieren sind out. Stattdessen kommt es auf wechselnde Aufgabenbereiche, ständige Weiterentwicklung und ein agiles Arbeitsumfeld an.  Eine akademische Qualifikation wie die Dissertation mag zwar beweisen, dass ich mich hartnäckig in ein Thema hineinarbeiten kann. Im heutigen Arbeitskontext ist Titelhörigkeit aber passé. Viele Unternehmen suchen mittlerweile gezielt nach Querdenkern, nach Menschen, die sich nicht ständig anpassen, sondern auch mal ganz unorthodox agieren. Diese Fähigkeit kann ein Bewerber beispielsweise durch einen Auslandsaufenthalt besser unter Beweis stellen als durch einen Doktortitel. Waren die fünf Jahre Doktorarbeitsstress für meinen Bekannten damit umsonst? Nein, die Zähigkeit, mit der er damals am Ball geblieben ist, hilft ihm heute in anderen Bereichen. Nur in Einkaufsgesprächen lässt er die Sache mit dem Doktortitel mittlerweile unter den Tisch fallen.