Wenn am Montag in vielen Regionen wieder die Kitas und Schulen schließen, stehen Millionen Eltern vor einem Dilemma: Wie soll ich denn nun vernünftig arbeiten? Mein Gastbeitrag für wiwo.de:
Zwei von drei Kindern sind damals im Dezember schon nicht mehr in die Kitas von Nordrhein-Westfalen gekommen, nachdem Familienminister Joachim Stamp (FDP) ihren Eltern einen Bettelbrief geschrieben hatte. Da hatten wir es noch gut – in Bayern oder Baden-Württemberg wurden die Kitas einfach komplett geschlossen. Stamp hatte sich in seinem Schreiben mächtig aus dem Fenster gelehnt: „Ich habe im Spätsommer versprochen, die Kitas und die Kindertagespflege nicht wieder landesweit zu schließen. Dabei bleibt es.“ In seinem Brief schlug er implizit eine Art Deal vor: Bitte bringt die Kinder jetzt vor Weihnachten nicht in die Kita, dafür sichere ich euch die Kinderbetreuung langfristig zu. Pustekuchen!
Einen knappen Monat später zeigt sich: Stamp hat den Deal mit mir, einer Mutter, aber auch einer Unternehmerin, aufgekündigt. Zehn Stunden weniger Betreuungszeit werden Eltern von Kita-Kindern ab nächster Woche in jedem Fall verkraften müssen. Als hätten Eltern nicht aus gutem Grund eine bestimmte Zahl an Betreuungsstunden vereinbart! Als sei die Kita nicht eines der wichtigsten Werkzeuge, um unseren Kindern frühzeitig mit dem Glück wie mit den Tücken des sozialen Miteinanders vertraut zu machen – und Eltern einen Arbeitsalltag zu ermöglichen, um Geld zu verdienen und Karriere zu machen, klar, aber auch um ihren Beitrag zur Sicherung unseres Wohlstands zu leisten.
Immerhin: Wenn sie Glück haben, bekommen Eltern für die reduzierten Betreuungsstunden wenigstens einen Teil der Gebühren erstattet. Beschlossene Sache ist das noch nicht. Dafür hat sich die Politik etwas anderes ausgedacht: Bis zu 20 zusätzliche Kinderkrankentage. Darauf sollten wir Eltern doch jetzt einfach zurückgreifen, so die Empfehlung, die uns die Bundeskanzlerin gemeinsam mit den Länderchefs gibt. Ein kurzer Blick auf die Homepages der großen Krankenkassen macht klar, was sich jeder auch schon vorher denken konnte: Anspruch auf Krankengeld oder Kinderkrankengeld haben Eltern nur, wenn sie „krankheitsbedingt arbeitsunfähig sind oder Ihr Kind aufgrund von Krankheit zu Hause betreut werden muss. Es ist dafür eine ärztliche Bescheinigung erforderlich.“ Sollen wir Eltern uns ab Montag alle zu Sozialbetrügern machen oder glauben unsere Politiker ernsthaft, bis dahin ein entsprechendes Gesetz verabschiedet zu haben, das die Inanspruchnahme ab nächster Woche rechtssicher ermöglicht?
Mich beschleicht der Verdacht, dass Eltern wie Arbeitgeber weiterhin mit der Taktik hingehalten werden sollen, die bereits im vergangenen Jahr so hervorragend funktioniert hat: Man schüre das Prinzip Hoffnung, damit alle die finanzielle und psychische Belastung auf sich nehmen, ohne zu murren. Und dann fordert man einfach noch mehr. So lange, bis es nicht mehr geht.
Geld rettet kein Unternehmen
Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Es geht nicht mehr. Unternehmer und Selbständige haben angesichts des Lockdowns existenzielle Kämpfe auszufechten. Solche Trostpflaster wie das Kinderkrankengeld helfen da nicht mehr. Selbst wenn sie Anspruch darauf hätten: Das Geld rettet das eigene Unternehmen nicht. Die Firmen brauchen jetzt Mitarbeiter, auf die sie sich verlassen können. Und sie brauchen die Zeit, sich ums Geschäft zu kümmern, auch wenn sie Kinder haben. Wer, wenn nicht die Unternehmer selbst, soll denn einen Betrieb durch diese existentielle Krise führen?
Wir können arbeitswillige Mitarbeiter, die gesunde Kinder zu Hause bespaßen nicht mal eben ersetzen. Sie sind qualifiziert, eingearbeitet, motiviert. Sie wollen arbeiten und können es auch. Wenn ein Unternehmen in der jetzigen Situation genügend Aufträge hat, um seine Mitarbeiter auszulasten, kann es sich nicht leisten, ein wichtiges Beratungsprojekt mal eben um drei Wochen zu verschieben. Und mal im Ernst: Wer glaubt noch daran, dass ab Februar wieder die volle Betreuung gewährleistet ist? Im Zweifel ist der Auftrag dann eben weg, der Umsatz flöten.
Entscheiden im Unwissen
Wir geben unsere Kinder nicht aus Spaß in die Kinderbetreuung. Wir müssen tatsächlich arbeiten, um unsere Unternehmen und die Arbeitsplätze unserer Mitarbeiter zu retten. Auch wir erarbeiten das Geld, das die Regierung gerade umverteilt, unsere Kinder werden es später zurückzahlen müssen. Unternehmer müssen ständig immer wieder aufs Neue Entscheidungen unter Unsicherheit treffen. Hier haben wir eine Gemeinsamkeit mit der Politik. Was uns in dieser Situation aber leider elementar unterscheidet ist, dass sich Unternehmer mit der bestmöglichen Informationslage ausstatten, bevor sie wichtige Entscheidungen treffen.
Seit vergangenem Frühjahr hat sich an den überholten Methoden der Gesundheitsämter mit ihrer faxbasierten Kommunikation und unzulänglichen Excel-Tabellen kaum etwas verändert. Und darauf fußen nun die noch weitergehenden Einschnitte in unseren Alltag? Von einer Regierung erwarte ich etwas anderes. Nämlich, dass sie endlich nachvollziehbar macht, wo die stärksten Risiken für den Verlauf der Pandemie liegen und wer stärker geschützt werden muss. Ich erwarte, dass schutzbedürftige Gruppen wirklich geschützt werden. Und ich erwarte, dass die Menschen, die finanziell und nervlich am Ende ihrer Kräfte stehen, die Chance bekommen, sich aus dieser Situation herauszuarbeiten. Deshalb erwarte ich, dass ihre Kinder betreut werden und dass sich Politiker an ihre Versprechen halten. Ich erwarte, dass nicht weiterhin Politik betrieben wird, die implizit voraussetzt, dass nun die Frauen wieder zu Hause bleiben, sich um die Kinder kümmern und den Männern den Karrierevortritt lassen.
Meine Tochter wird zu denen gehören, die ihre Kita-Zeit ausnutzen. Wir haben keine andere Möglichkeit. Sie geht gerne dort hin. Und mein Mann und ich werden arbeiten.