Erschienen in markt & wirtschaft westfalen 8/22.
27% der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge wurden im Jahr 2019 wieder gelöst. Die Studienabbrecherquoten sind ähnlich hoch. Für rund ein Drittel der deutschen Schulabgänger:innen bedeutet das einen Knick im Lebenslauf, eine insgesamt längere Ausbildungszeit und dadurch entstehende Einkommensverluste. Volkswirtschaftlich ist das eine Katastrophe. Aber auch auf Unternehmensseite sind die Schäden groß: Einen gerade erst eingearbeiteten Azubi kurzfristig zu ersetzen ist angesichts der aktuellen Bewerberlage häufig ein Ding der Unmöglichkeit.
Doch wir sind nicht machtlos. Der wichtigste Auflösungsgrund für Ausbildungsverträge ist, dass der gewählte Beruf nicht den eigenen Vorstellungen entspricht . Hier können Unternehmen ansetzen und Schadensbegrenzung betreiben. Zu Beginn der Corona-Einschränkungen haben viele Unternehmen auf Praktikanten verzichtet. Doch ein Praktikum ist ein wichtiges Hilfsmittel für junge Menschen auf dem Weg zum richtigen Ausbildungsplatz. Wie sonst sollen sie sich ausprobieren und bestimmte Berufe überhaupt erst einmal kennenlernen? Durch Programme wie „Kein Abschluss ohne Anschluss“ ist das Thema Praktika in unterschiedlichen Kompetenzfeldern breiter in die Schulen getragen worden. Wir Unternehmen sollten das nutzen, um unsere Türen für Schüler:innen zu öffnen. Wer sich als Praktikant in einem Betrieb wohl gefühlt hat, wird auch anklopfen, wenn er sich für eine Ausbildung interessiert.
Aber wir können noch mehr tun, um dafür zu sorgen, dass sich Auszubildende bereits vor ihrer Ausbildung ein verlässliches Bild des Berufs machen können. Ein Tag der offenen Tür für interessierte Schüler:innen mitsamt Eltern wäre ein wirkmächtiger Klassiker. Wir sind im Unternehmen dazu übergegangen, unseren Bewerber:innen ein Probeprojekt anzubieten. So können sich potentielle Azubis im Rahmen eines dreitägigen Projektes mit typischen Tätigkeiten und Aufgaben des gewünschten Berufsbildes vertraut machen und gleichzeitig das Team kennenlernen. Danach können sowohl Bewerber als auch Unternehmen eine bessere Entscheidung treffen. Was wir Unternehmer mittlerweile akzeptieren müssen ist, dass die Mitarbeitergewinnung eine zentrale Aufgabe der Unternehmensführung geworden ist. Entsprechend langfristig muss sie auch angelegt sein. Damit erzielen wir nicht schnell hohe Bewerberzahlen, aber wir sichern die Existenz des Unternehmens langfristig mit motivierten Mitarbeiter:innen, die sich aktiv für das Unternehmen entschieden haben. Und das ist doch schlussendlich genau das, was wir wollen!