Jeannine Budelmann
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Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende
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Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende

Erschienen in markt & wirtschaft westfalen 12/20.

6,4 % der Wirtschaftsjunioren sahen sich bereits Anfang April durch eine Insolvenz bedroht. Nicht nur das: 21,8 Prozent benannten Liquiditätsengpässe schon im Frühjahr als weitere negative Auswirkung des Corona-Virus auf ihr Unternehmen.

Die Folgen der seit März anhaltenden Unsicherheit hat auch ein Bekannter zu spüren bekommen. Er war mit seinem neu gegründeten Unternehmen nach 4 Jahren endlich in die Gewinnzone gekommen. Dann kam der Lockdown und er erhielt bestellte und vorfinanzierte Ware nicht mehr. Gleichzeitig fielen Zahlungen mehrerer Kunden aus. Die Folge: der finanzielle Exitus.

Wie schlimm die Gesamtsituation der deutschen Wirtschaft ist, wird sich erst in ein paar Monaten zeigen. Welches Unternehmen ist nach Wegfall der Soforthilfen, Überbrückungshilfen, Mehrwertsteuersenkung, Steuerstundung und Wiedereinführung normaler Insolvenzregeln noch überlebensfähig?

Es ist für unsere Gesellschaft von immenser Bedeutung, dass unverschuldet in wirtschaftliche Probleme geratene Unternehmen unterstützt werden. Das ist Solidarität. Klar ist aber auch: Je länger diese Situation andauert, desto mehr Geschäftsmodelle werden am Laufen gehalten, deren Zeit unter normalen Umständen längst abgelaufen wäre. Wer entscheidet in dieser Situation darüber, was tragfähig ist und was nicht? Die Politik kann es nicht. Der Markt kann es auch nicht – seine Mechanismen sind auf unbestimmte Zeit außer Gefecht gesetzt. Das zeigt sich beispielsweise auch am Rückgang der angemeldeten Insolvenzen in der ersten Zeit nach Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Wir müssen schnellstmöglich zurück zu verlässlichen Rahmenbedingungen! Ein wichtiger, wenn nicht sogar der wichtigste, Grundstein für eine erfolgreiche Volkswirtschaft liegt im begründeten Vertrauen darin, dass vereinbarte Geschäfte auch eingehalten werden. Rechtsunsicherheit führt zu geringeren Investitionen, weil das Risiko eines Totalverlustes zu hoch ist. Und: Deutschland hat ohnehin mit sinkenden Gründerzahlen zu kämpfen. Wenn sich nun zeigt, dass gesunde Unternehmen trotz aller Mühen und Vorsicht zu Opfern von Zombie-Unternehmen werden – wer soll dann noch gründen wollen? Hinzu kommt, dass im Zweifel nicht nur Unternehmen unverschuldet in die Insolvenz geraten, sondern es die Inhaber und Inhaberinnen in der Folge auch privat trifft. Das darf nicht sein. Wir bringen – sehenden Auges – das wirtschaftliche Rückgrat unserer Gesellschaft in Gefahr.

Es ist keine Schande, in der jetzigen Situation nicht mehr wirtschaftlich arbeiten zu können. Wichtig ist aber, im richtigen Moment die Reißleine zu ziehen. So, wie mein Bekannter es gemacht hat: Er hat sein Unternehmen schweren Herzens geschlossen und seine Gläubiger befriedigt, bevor es zu spät wurde. Ich ziehe meinen Hut vor ihm und allen denjenigen, die den Mut haben, Geschäftsmodelle abzuwickeln, die nicht zukunftsfähig sind. So schwer dieser Weg ist, er kann auch eine Chance sein zum Großreinemachen und zur strategischen Neuausrichtung des eigenen (Berufs-)lebens. Eine Insolvenz ist kein Makel, besonders nicht in diesen Zeiten. Aber eine geordnete Insolvenz kann gerade jetzt viel wert sein. Für das Gemeinwohl, aber auch für jeden Einzelnen!