Jeannine Budelmann
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Wer braucht schon Verbände?
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Wer braucht schon Verbände?

Erschienen in Markt und Mittelstand 12/2020.

„Ausgerechnet! Was willst Du denn in einem solchen Altmännerverein?“ Hoppla! Das Feedback hatte meine Bekannte nicht erwartet, als sie auf einer Party erzählte, dass sie jüngst zur Vorsitzenden eines Berufsverbandes gewählt worden ist. Auf der anderen Seite – etwas ist dran: Vereinssitzungen dauern ewig, ständig kommt Fritz Meier um die Ecke mit einer kurzfristigen Änderung der Tagesordnung, und bis nicht jedes Vorstandsmitglied seinen Senf zu der Frage abgegeben hat, wann das nächste Treffen stattfinden soll, kann die Sitzung auch nicht geschlossen werden. Überhaupt scheinen Egos eine sehr große Rolle bei der Verbandsarbeit zu spielen. Warum auch sonst sollte man sich ehrenamtliche (also unbezahlte) Arbeit antun?

Ganz so schlimm sei es nicht sagt meine Bekannte. Zwar kennt auch sie den typischen Bremser oder das Mitglied, das sich übergangen fühlt und deshalb Sitzungen durch ständige Rückfragen stört, die bereits hinreichend beantwortet wurden. Aber sie wächst daran: „Wichtig ist, sich klar zu machen, dass die Mehrheit unserer Mitglieder dankbar ist für die Arbeit, die ich mache“. Niemand sonst hat einen so guten Überblick über die Probleme ihrer Branche und kann die Bedürfnisse ihrer Mitglieder so gut an die Politik spiegeln. Das ist ihre Hauptmotivation, sich ehrenamtlich zu engagieren: Sie kann etwas bewirken. Gleichzeitig ermöglicht ihr die Arbeit im Verband eine hervorragende Vernetzung. Die gemeinsame Arbeit schweißt zusammen und so rekrutiert sie sich kurzfristig bei einem Umzug Hilfe aus den eigenen Reihen. Eine Änderung der Versicherungspolice steht an? Kein Problem, ihr Schatzmeister hat sich gerade erst beruflich damit auseinandergesetzt. Welche ERP-Software ist für ihren Zweck am besten geeignet? Sämtliche gängige Systeme sind bei den Mitgliedsunternehmen im Einsatz, und sie bekommt bereitwillig Auskünfte und Einblicke, die ihr Vertriebsmitarbeiter nicht geben. So verbindet sich persönliches Wachstum mit dem Wunsch, etwas fürs Gemeinwohl zu tun auf eine fruchtbare Art und Weise. Übrigens: Nachdem meine Bekannte ihre Amtszeit angetreten hatte, folgten weitere Frauen in den Verband und die Mitgliederbasis verjüngte sich. Der Altmännerverein ist tot, es lebe der Interessensverband.