Jeannine Budelmann
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Auch Azubis müssen in die Schule
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Auch Azubis müssen in die Schule

Ralph Pache

Erschienen in DIE WELT, 25. Juni 2021.

Nun ist wissenschaftlich belegt, was Schüler, Lehrer und Eltern schon vorher wussten: Die Schulschließungen zu Beginn der Corona-Pandemie haben dazu geführt, dass das Bildungsniveau der Schüler stagniert – häufig genug sinkt es sogar. Doch auch die Unternehmen konnten und können immer noch ein Lied von den Problemen des „Homeschooling“ singen, denn sie waren gleich mehrfach betroffen: Mitarbeiter kümmerten sich um die Beschulung ihres Nachwuchses und fielen aus. Sie waren verständlicherweise weniger belastbar. Nicht wenige Unternehmer haben selbst Kinder, die sie beschulen mussten. Das zu stemmen war organisatorisch gerade für kleinere Unternehmen eine Mammutaufgabe, bei der alle Federn gelassen haben. Gerade, wenn man sich vor Augen führt, wir groß die wirtschaftlichen Probleme waren, denen wir uns gegenübersahen.

Was aber in der öffentlichen Diskussion noch gar keinen Raum gefunden hat ist die Tatsache, dass auch Auszubildende beschult werden müssen. Die Schulschließungen trafen also auch die Azubis und damit direkt die Unternehmen. Genau wie in den allgemeinbildenden Schulen gab es auch in den Berufsschulen die bekannten Probleme: Mangelnde IT-Kompetenz der Lehrer, schlechte Erreichbarkeit, ruckelndes Internet, lückenhafte Unterlagen. Je nach Ausbildungsberuf dauert eine Ausbildung zwei bis dreieinhalb Jahre. Fehlt ein Jahr, ist ganz schnell ein Drittel bis die Hälfte des Stoffs weg. Und das merken Auszubildende wie Unternehmen.

Wir werden also in der Konsequenz mit Abschlussjahrgängen konfrontiert sein, denen elementare Teile der Ausbildung nicht vermittelt wurden. Würden Sie Ihre Buchhaltung einem Mitarbeiter anvertrauen, dem ein wichtiger Teil des relevanten Stoffes fehlt? Wohl kaum. Schließlich bedeutet diese Aufgabe eine hohe Verantwortung. Wie so viele Berufe, die über die duale Ausbildung vermittelt werden. Aber einfach nebenbei aufarbeiten konnten die Betriebe das fehlende Wissen auch nicht. Zu viele waren zu sehr damit beschäftigt, die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Maßnahmen für ihren Betrieb abzufedern und die eigene Existenz zu sichern. Nebenbei Grundlagenvermittlung zu betreiben ist da nicht mehr drin.

Nun gut, könnte man einwenden, dann haben wir halt einen verlorenen Jahrgang. Das ist der Preis, den wir zahlen müssen. Doch falsch gedacht: Den Jahrgängen, die jetzt nachkommen, fehlt ebenfalls ein Jahr Kompetenzentwicklung. Ich erinnere daran, dass wir bereits vor Corona Probleme hatten, alle offenen Stellen mit passenden Azubis zu besetzen und das lag keineswegs an überzogenen Anforderungen. Häufig genug scheitern Ausbildungsverhältnisse an mangelhaften Mathe- und Deutschkenntnissen. Wie sollen wir als Unternehmen jetzt auch noch diese zusätzlichen Lücken ausbügeln? Die Antwort ist leider simpel: Es ist nicht möglich.

Und als ob das nicht alles schon genug wäre, hat der Gesundheitsminister nun eine grandiose Idee: Ab Herbst gehen einfach wieder alle in den Wechselunterricht. Lieber Jens Spahn, unabhängig von den psychischen Folgen für die Schüler, unabhängig von den vertanen Zukunftschancen einer ganzen Generation, der ihr Recht auf Bildung verwehrt wird, wie bitte sollen wir uns das wirtschaftlich leisten? Wir sind in Deutschland auf hoch qualifizierte Menschen angewiesen. Ja, es klingt abgedroschen, aber sie sind das einzige Kapital, das wir haben. Wenn wir dieses Kapital verspielen, hat unser Land keine wirtschaftliche Zukunft mehr. Es ist schon viel zu viel kaputt gegangen. Deshalb: Finger weg von den Schulen!