Jeannine Budelmann
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Machine Learning
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Machine Learning

Erschienen in Markt und Mittelstand 05/2023

ChatGPT mit all seinen Vorteilen und Macken hat in den letzten Wochen ganz schöne Wellen geschlagen. Auf einmal ist Machine Learning in Unternehmen salonfähig geworden und unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten werden diskutiert.

In Deutschland sollten wir diese Diskussionen aber etwas breiter aufmachen, denn wir sind nun einmal kein Land IT-getriebener Softwareunternehmen. Was uns auszeichnet ist der Mittelstand, ganz besonders der industrielle. Natürlich können auch diese Unternehmen von ChatGPT oder ähnlichen Anwendungen profitieren. Sei es im Wissensmanagement oder bei der Übernahme von Routinetätigkeiten. Noch viel weitreichendere Möglichkeiten haben wir aber, wenn wir Methoden des Machine Learning auf industrielle Anwendungen übertragen. Hier kann es um Kundenapplikationen gehen, aber auch um die Optimierung interner Prozesse. Ganz besonders der Bereich von Materialflüssen ist durch eine steigende Komplexität gekennzeichnet.

In der Elektronikfertigung sind beispielsweise viele Bauteile aufgrund des hohen Grads der Standardisierung lieferantenübergreifend austauschbar. Ein 10-Kiloohm-Widerstand im Gehäuse 0402 ist technisch gesehen ein ziemliches Standardprodukt. Die Bezeichnung für ein solches Bauteil kann aber von Lieferant zu Lieferant unterschiedlich sein, weil es keine einheitliche Nomenklatur gibt. Gleichzeitig sind die Lieferströme durch viele Zwischenhändler gekennzeichnet, die wiederum andere, teilweise zusätzliche Informationen und Etiketten auf die Umverpackungen der Bauteile aufbringen. Im Wareneingang und Lager ist es deshalb sehr zeitaufwändig und damit teuer, die relevanten Informationen auf Verpackungen zu finden. Auch ist das Risiko, ein Bauteil falsch ins Lager einzubuchen. Wird ein falsch gebuchtes Bauteil in der Fertigung verwendet, ohne, dass es auffällt, kann das gravierende Folgen haben – bis hin zur kompletten Neufertigung einer Baugruppe.

Deshalb gibt es inzwischen Systeme, die in der Lage sind, relevante Informationen auf Lieferscheinen und Verpackungen zu erkennen und zu analysieren. Solche Modelle wurden mit extrem vielen Datensätzen gefüttert und können aus diesem Wissensschatz schöpfen. Wenn ein solches System also ein Etikett eines Bauteils ausliest, dann kann es aufgrund des angesammelten Datenschatzes mit einer relativ hohen Wahrscheinlichkeit herauslesen, was auf dem Etikett steht. Dabei liest es diese Information nicht nur, sondern interpretiert sie auch semantisch. Das System ist also in der Lage zu erkennen, ob eine Zahl beispielsweise eine Menge oder eine Artikelnummer repräsentiert. Hier ist es ungelernten Lagermitarbeitern Meilen voraus. Solche Anwendungen lassen sich natürlich erweitern: beispielsweise auf andere Materialströme oder andere Produktionsschritte. Voraussetzung ist allerdings, dass wir eine ausreichende Menge an Daten zur Verfügung stellen. Vom Machine Learning können wir alle profitieren – gehen wir es an!